Schadensfall: Konsequenzen bei Nichterfüllung?
OGH: Welche Pflichten hat ein Versicherter im
Schadensfall? Konsequenzen bei Nichterfüllung?
Der OGH beschäftigte sich mit der Frage, was ein Versicherungsnehmer tun muss, um den Schaden aufzuklären und welche Konsequenzen bei falscher Reaktion zu erwarten sind.
Im Urteil 7Ob276/01s (zum Nachlesen hier klicken…) geht der OGH auf die Allgemeinen Bedingungen der Versicherung ein, und der dort festgelegten Verpflichtung, „nach Möglichkeit zur Feststellung des Sachverhaltes beizutragen". Bei Verletzung dieser Verpflichtung nach Eintritt des Versicherungsfalles wird laut diesen AGB der Versicherer von seiner Verpflichtung zur Leistung frei.
Im konkreten Fall hatte ein Versicherter – und Kläger im Verfahren – spät nachts (gegen 3 Uhr früh)
einen Autounfall. Streifte Bäume und prallte dann gegen einen Baum. Er erlitt eine Gehirnerschütterung und Amnesie. Er ging 8 km in den nächsten Ort. Rief in der Früh seine Freundin an, die ihn um 7 Uhr zu den Eltern und dann ins Spital brachte. Um 8 Uhr rief auf Wunsch des Verunfallten seine Mutter die Gendarmarie an, berichtete über den Unfall und davon, dass der Sohn nun im Spital sei. Der Sohn, also der Kläger, erschien erst am nächsten Tag nachmittags bei der Gendarmarie.
Das Auto war ein Totalschaden, daher verlangte der Kläger Deckung aus dem Vollkaskoversicherungsvertrag. Seine Erinnerung höre mit dem Verreißen des Autos auf. Er sei nicht
alkoholisiert gewesen. Die verspätete Unfallmeldung sei auf eine schwere neurologische Störung zurückzuführen. Ihm sei keine Obliegenheitsverletzung zur Last zu legen.
Die Versicherung, die Beklagte, sah das anders und beantragte die Abweisung der Klage wegen
„Verletzung der vereinbarten Obliegenheit" (durch die verspätete Anzeige bei der Gendarmarie). Es
„bestehe der Verdacht einer Alkoholisierung, der nicht habe ausgeräumt werden können." „Der Kläger sei durch den Unfall nur leicht verletzt worden, die Beklagte sei durch die Obliegenheitsverletzung (Anmerkung: des Versicherungsnehmers) leistungsfrei.
Das Erstgericht wies die Klage ab, gab also der Versicherung recht. Weil eine sofortige Schadensmeldung unterlassen wurde, liege eine Obliegenheitsverletzung vor. Die „verspätete Anzeige habe bewirkt, dass im Nachhinein einen Alkoholisierung im Unfallzeitpunkt weder bejaht noch verneint werden könne". Die Versicherung sei leistungsfrei.
Das Berufungsgericht dagegen gab dem Verletzten recht. Sah keine Obliegenheitsverletzung und
urteilte: „Dem Kläger, der nach dem Unfall an einer Gehirnerschütterung mit Amnesie und an einer
Halswirbelsäulenverletzung gelitten habe, müsse zugebilligt werden, dass er … sich ins Spital habe
bringen lassen. Erst nach der Spitalsentlassung… wäre ihm eine Fahrt zum Gendarmarie zumutbar
gewesen. Dass zu diesen Zeitpunkt noch eine persönliche Anzeige zur Aufklärung des Sachverhaltes
beitragen hätte können, sei nicht ersichtlich."
Weil die Auslegung der Bestimmung über die Obliegenheitsverletzung über den Anlassfall hinaus
Bedeutung zukomme, wurde der OGH um Klarstellung gebeten.
Und der OGH präzisierte wie folgt:
Nach den AGB der Versicherung muss man „nach Möglichkeit zur Feststellung des Sachverhaltes
beitragen und alles Zweckdienliche zur Aufklärung des Unfallereignisses selbst dann vorzunehmen,wenn es seinen eigenen Interessen zum Nachteil gereichen sollte. Die Aufklärungspflicht soll nicht nur die nötigen Feststellungen über den Unfallablauf, die Verantwortlichkeit der Beteiligten und den Umfang des entstandenen Schadens ermöglichen, sondern auch die Klarstellung all jener Umstände gewährleisten, die für allfällige ‚Regressansprüche des Versicherers von Bedeutung sein können."
Darunter falle auch die „objektive Prüfung der körperlichen Beschaffenheit des am Unfall beteiligten
Versicherungsnehmers hinsichtlich einer allfälligen Alkoholisierung."
„Nach ständiger Rechtsprechung des OGH ist aufgrund dieser Bestimmung (gemeint sind obige ABG‘s) in Verbindung mit § 4 Abs. 5 StVO (Straßenverkehrsordnung) vom Versicherungsnehmer nach einem Unfall bei Verletzung weiterer Personen oder bei Schädigung von fremden Sachgütern eine Gendarmarie- oder Polizeianzeige zu erstatten. Eine solche kann jedoch unterbleiben, wenn ausschließlich der den Unfall verursachende Lenker und Versicherungsnehmer verletzt bzw. nur dessen eigenes Fahrzeug beschädigt wurde."
„Wenn keine Anzeigepflicht nach $ 4 StVO besteht, besteht auch keine Verpflichtung des Versicherungsnehmers gegenüber dem Kaskoversicherer, die Gendarmarie oder Polizei vom
Unfallhergang zu verständigen."
„In jedem Fall einer wahrgenommenen Beschädigung von fremden Sachgütern ist ohne Rücksicht auf
anscheinende Geringfügigkeit dieses Schadens eine Gendarmarie- oder Polizeianzeige zu erstatten."
Im Konkreten Fall – urteilte der OGH: „An der Pflicht zur Anzeigenerstattung .. kann im Hinblick auf
die Beschädigung dreier Bäume … kein Zweifel bestehen.
ABER: „Das Unterlassen der sofortigen Anzeige … stellt keine Verletzung der Obliegenheitspflicht
dar, da der Kläger unmittelbar nach dem Unfall … an einer Amnesie lit und nicht voll geschäfts- und
handlungsfähig war".
„Ein sofortiges persönliches Aufsuchen des Gendarmariepostens war dem Versicherungsnehmer im
Hinblick auf die erlittenen Verletzungen nicht zumutbar. Es ist dem Versicherungsnehmer zuzubilligen, erlittene unklare Kopfverletzungen … noch vor dem persönlichen Aufsuchen der Sicherheitsbehörden im Krankenhaus abklären zu lassen, zumal er die Anzeigeerstattung und die Bekanntgabe seines momentanen Aufenthaltes im Krankenhaus veranlasste, sodass seine sofortige Verfügbarkeit für Rückfragen gewährleistet war."
Daher sei dem Kläger keine Verletzung der Obliegenheitspflicht vorzuwerfen.
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